Ein Interview mit unserem Interim Manager

Interim Management in Frankreich vs. Deutschland

Interim Management ist deutschlandweit für viele Unternehmen kein Fremdwort mehr - doch wie sieht die Situation in Frankreich aus? Worauf müssen Unternehmen bei Interim Projekten in Frankreich bzw. französischen Unternehmen achten? Unser Interview mit Herrn Roose, der als Interim Manager zahlreiche frankophone Projekte erfolgreich umgesetzt hat, liefert die Antworten aus erster Hand.

Interim Manager Frankreich

Interim Profis: Hallo Herr Roose, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für unser Interview nehmen. Das Thema heute: Interim Mandate in Frankreich bzw. in französischsprachigem Raum im Vergleich zu deutschen Interim Projekten. Doch vorab: möchten Sie sich kurz unseren Lesern vorstellen?

Patrick Roose: Sehr gerne. Ich heiße Patrick Roose, bin studierter Informatiker und war von 1981 bis 2001 als Technischer Berater tätig. Seit über 19 Jahren arbeite ich nun schon als Interim Manager. Mittlerweile habe ich bereits 15 Projekte erfolgreich als Interim Manager begleitet und umgesetzt. Meine Schwerpunkte liegen in der digitalen Transformation sowie der Business & ICT-Transformation. Ich spreche vier Sprachen, nämlich Deutsch, Englisch, Niederländisch und Französisch fließend.

Projektarten und Herausforderungen

Interim Profis: Vielen Dank. Das heißt, Sie haben auch Erfahrung mit Projekten in französischsprachigen Unternehmen bzw. in Frankreich. Welche Herausforderungen haben Interim Manager denn Ihrer Erfahrung nach bei einem Mandat in einem französischsprachigen Unternehmen oder direkt in Frankreich im Vergleich zu Mandaten in Deutschland?

Patrick Roose: Die französische Kultur ist anders als die deutsche. Das Konzept des "Freiberuflers oder Interimsmanagers" hat in Frankreich bzw. in französischen Unternehmen noch keine so breite Akzeptanz gefunden. Frankreich arbeitet zwar mit Freiberuflern - meistens für die technische Unterstützung von IT-Lösungen - dies aber nur sporadisch und in geringerem Umfang. Wenn Sie als externer Berater für einen französischen Kunden arbeiten, müssen Sie dieses Phänomen immer berücksichtigen. Die Unterscheidung zwischen einem Freiberufler und einem Interim Manager ist in Frankreich nicht so bekannt.

Ein Freiberufler wird normalerweise zur Unterstützung eines Prozesses, eines Softwareprojekts oder eines betrieblichen Problems eingesetzt. Er soll dabei unterstützen, eine Änderung an einem Prozess, einem Softwareprojekt oder einem betrieblichen Problem zu erreichen. Dies ist in Frankreich üblich. Jedoch habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Übernahme der Aufgaben eines internen Managers oder Abteilungsleiters, zum Beispiel das Delegieren von Aufgaben an ein Team, noch nicht sehr verbreitet ist.

Die Probleme liegen hier vor allem bei den Gewerkschaften, und zwar in Form einer "Machtübergabe" an einen externen Manager.

Interim Profis: Welche Art von Projekten haben Sie bisher eher in Frankreich durchgeführt und welche Art von Projekten eher in Deutschland? Haben Sie in Deutschland zum Beispiel eher das Thema „Digitale Transformation" und in Frankreich eher Projekte zum Thema „Standortverlagerung" betreut?

Patrick Roose: In der Vergangenheit wurde ich grundsätzlich häufig mit Transformationsprojekten konfrontiert, d.h. mit Veränderungsprozessen im Bereich der Restrukturierung, Integrationen oder Globalisierung. Ich kann Ihnen gerne einige Beispiele nennen:

1) Interim Projekt im Finanzsektor:

Ziel war es, ein gemeinsames Helpdesk für die verschiedenen Länder (Frankreich, Belgien, Deutschland) einzurichten, welches dann an die Kompetenzzentren delegiert werden sollte. Während dieser Transformation wurde eine Verschiebung (nicht eine Reduzierung) des Personals entsprechend der Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeiter durchgeführt. Die Ausrichtung auf eine Lösung für ein zentrales Dienstleistungsmanagement hat einige zusätzliche Veränderungsaktivitäten mit sich gebracht, insbesondere in Frankreich.

2) Interim Projekt in der Logistikbranche:

Der Kunde verfügt über ein sehr großes Netzwerk von Spediteuren in Frankreich, Skandinavien, Deutschland und Großbritannien und verwendete dasselbe Softwarepaket. Die Ziele waren, die Anfragen und Bedürfnisse für Software-Anpassungen und ebenfalls die Vorfälle zu den bestehenden Lösungen pro Land an eine einzige Kontaktstelle zu liefern, anstatt dies pro Land erledigen zu lassen. Die IT-Lösung wies pro Land eine beträchtliche Anzahl von Abweichungen auf (z.B. Rechnungsstellung, Lieferbedingungen, Mehrwertsteuer). 

Die Umgestaltung bestand darin, die Anfragen pro Land einem Serviceteam (in Indien und Afrika) zuzuordnen, um die Auswirkungen auf den täglichen Betrieb zu minimieren.

Für alle Länder war die Umsetzung dieses Prozesses keine leichte Aufgabe (die Nutzung der Software-Lieferanten entfiel). Speziell für Frankreich war die "Auslagerung" des IT-Problems ein schwieriger Schritt; sowohl die Kontrolle als auch die interne Umsetzung gingen verloren. Dies war eine schwierige Aufgabe, da fast jede Abteilung eine eigene IT-Abteilung hatte und bei der Umsetzung von Änderungen eher „im kleinen Rahmen" arbeitete. Die neue Effizienz wurde aber wenig später sichtbar. Letztlich kam dies der Stabilität der IT-Lösung zugute.

3) Interim Projekt in der Produktionsindustrie:

Ziel war es, eine ERP-Softwarelösung in verschiedenen Bereichen zu implementieren (Frankreich, Niederlande, Belgien). Jede Abteilung in jedem Land hatte vorher ihre eigenen IT-Lösungen. Aufgrund der Geschwindigkeit der Transformation arbeiteten wir in allen Ländern nach einem Fit-to-Standard-Ansatz, gefolgt von einer Fit/Gap-Analyse. Die Transformation umfasste die Änderungen in Bezug auf Prozesse, Organisationen, Daten/Informationen, IT-Lösungen und Kultur.

Allgemein bin ich folgender Meinung:

Frankreich ist immer noch sehr vorsichtig, wenn es darum geht, Veränderungen zu rechtfertigen; oft dauert es mehr als 10 bis 15 Jahre. Es kann etwas schneller gehen, wenn die Änderung aus Belgien oder Deutschland diktiert ist. Im Moment stehen wir in ganz Europa vor einer sehr schwierigen Aufgabe: dem Übergang von "chaotischen" oder sehr verstreuten, individuellen Lösungen in jeder Abteilung zu einer datenzentrierten Struktur u.a. mit der Nutzung von hybriden Lösungen (Zentral, Dezentral von Prozessen, IT-Lösungen).

Es gibt immer noch viele Hindernisse: Die Unternehmen verfügen nicht über die notwendigen internen Kapazitäten, haben nicht die notwendigen Investitionsmöglichkeiten wie CAPEX/OPEX und haben nicht die Zeit, die Projekte durchzuführen. Auf eine Akzeptanz hinzuarbeiten, um die Umsetzung in Gang zu bringen, bringt noch viel mehr an die Oberfläche. Insbesondere an zwei Fronten (Änderung der Software und des Prozessablaufs) ist die Arbeit in Frankreich etwas komplexer (aber deshalb nicht schlechter) als in Deutschland. Das Ergebnis ist, dass man, wenn man zu einer Vereinfachung seines Zielbetriebsmodells übergeht, in Frankreich viel mehr „in den Rucksack packen muss" als in Deutschland. Ein Beispiel ist die Deutsche Bank: Aus diesen Gründen lässt sie ihre gesamte IT-Plattform von externen Partnern wie Google überholen. Dasselbe gilt für die HSBC. Diese Auswirkungen sind für jedes Land sehr wichtig. Deutschland hat hier die Initiative ergriffen; die Frage ist: Werden die anderen Länder folgen?

Die Entscheidung, "eigene Lösungen" auszulagern sowie die Daten auf einer externen Plattform zu hosten, ist viel wichtiger als IT-Interessen.
Die Bearbeitung dieser unantastbaren Vermögenswerte ist in Frankreich viel langsamer als in Deutschland und sicherlich nicht in den Niederlanden. Je südlicher (Mittelmeerraum), desto mehr Zeit muss dieser Aspekt für die Arbeit der IM in Betracht gezogen werden.

Akzeptanz der Interim Manager in Frankreich

Interim Profis: Eine etwas andere Frage zum Thema Akzeptanz von Interim Managern: Wie nehmen französische Unternehmen, insbesondere Angestellte und Vorgesetzte der Unternehmen, den eingesetzten Interim Manager wahr? Und wie wird im Vergleich ein Interim Manager in deutschen Firmen wahrgenommen? Und wie sieht es mit der Länge von Interimsmandaten aus: dauern die Interim Projekte in Frankreich durchschnittlich länger als Mandate in Deutschland?

Patrick Roose: Das Thema fehlende Akzeptanz habe ich zum Beispiel bei zwei Projekten erlebt: einmal bei der Implementierung eines gemeinsamen Dienstleistungszentrums zwischen den Ländern Deutschland, Frankreich und Belgien und einmal der Einführung von ERP bei niederländischen, belgischen und französischen Unternehmen.

Beim ersten Fall gab es einen größeren Bedarf an Veränderungsmanagement, vor allem bei den Interessenvertretern zu den Themen Erörterung der Vorteile und der Zusammenarbeit zwischen den Ländern. Die Gründe dafür lagen auch in der fehlenden Unterstützung durch das höhere Management.

Einstieg als Interim Manager in frankophonen Projekten

Interim Profis: Wie ist Ihrer Erfahrung nach der Einstieg eines Interim Managers in einem französischen Unternehmen im Vergleich zu einem Einstieg in ein deutsches Projekt? Bekommen Sie alle notwendigen Informationen vorab? Arbeiten Sie z.B. eher autark oder eher sehr stark mit dem CEO zusammen?

Patrick Roose: Hier gibt es tatsächlich deutliche Unterschiede: In Deutschland werde ich üblicherweise zum Anfang meines Projektes sehr gut durch die gesamte Organisation geführt, allen Mitarbeitern vorgestellt und den Stakeholdern persönlich vorgestellt. Die Anfrage an mich kam direkt von den CEOs und Management Directors.

In französischen Unternehmen passiert das so gut wie nie; hier muss ich proaktiv werden und das kostet direkt am Anfang immer viel mehr Zeit. Der Auftrag musste z.B. noch sehr detailliert mit den örtlichen Abteilungsleitern besprochen werden. Hier zeigte sich dann für mich ein Unterschied zum ursprünglichen Mandat. Der Unterschied bestand vor allem in zusätzlichen operativen Aufgaben, die vorher nicht bekannt waren (auch nicht dem höheren Management).

In Südfrankreich (Lyon, Dyon, Marseille) herrscht grundsätzlich eine große Offenheit und es ist einfacher, mit zusätzlichen Aktionen oder zusätzlichen Erwartungen umzugehen als in Nordfrankreich (Paris, Lille). Aber das bedeutet leider nicht, dass der Interim Manager genau informiert ist.

Kompetenzen und Skills von Interimsmanagern

Interim Profis: Nun noch eine Frage zum Thema Kompetenzen: Was wird von Interim Managern in Frankreich im Vergleich zu Interim Managern in Deutschland eher vom Unternehmen/ CEO erwartet? Also, welche Stärken und Charaktereigenschaften erwartet ein deutscher CEO im Vergleich zu einem französischen CEO von einem Interim Manager?

Patrick Roose: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass französische Unternehmen deutlich mehr Kompetenz in Bezug auf Veränderungsprozesse erwarten, insbesondere im Hinblick auf die anstehende digitale Transformation.

Jahrzehntelang haben sich fast alle Unternehmen (weltweit) mit Technologien zur Unterstützung ihrer Prozesse umgeben. Aufgrund der Vorsicht der französischen Unternehmen wird dies anders erwartet. Im Laufe der Jahrzehnte sind bedeutende Innovationen entstanden, bei denen die Landschaft (auf IT-Ebene) erhebliche Veränderungen erfuhr. Wir haben den Trend von der dezentralisierten zur zentralisierten Verarbeitung erlebt. Nun sind wir mit viel mehr als nur rein IT-technologischen Veränderungen konfrontiert.

Das Konzept der "digitalen Transformation" hat einen sehr tiefgreifenden Einfluss auf Prozesse, Organisationen, Datenaustausch und Kultur. Und jede Veränderung muss gleichzeitig erfolgen. Der Interimsmanager muss der "Glättung" der Veränderungsprozesse viel mehr Aufmerksamkeit widmen. Klassische Konzepte wie "Fit to Standard" gefolgt von einer "Fit/Gap-Analyse" unterscheiden sich von Land zu Land.

In Deutschland haben die Workshops und Treffen einen strukturellen Verlauf, und eine einstimmige Entscheidung kann recht einfach getroffen werden.

In Frankreich muss man sich die Zeit nehmen, den Wechsel zu erreichen. Dies bedeutet viel mehr Face-2-Face Konsultationen. Hier wird vom Manager auf Zeit mehr erwartet (Einfühlungsvermögen, Zuhören, Mikroschritte, sorgfältige Abstimmung mit anderen Ebenen). Während wir von 2005 bis 2015 noch von einer "Fit/Gap-Analyse" zur Umsetzung eines technologischen Wandels ausgingen, soll der IM nun die gesamte Perspektive (Wirtschaft + Technologie) abdecken.

Für den Interimsmanager bedeutet dies, dass das Wissen und die Fähigkeiten weit über sein Fachwissen aus seinem "Kokon" hinausgehen. Der Schwerpunkt liegt hauptsächlich auf dem Änderungsmanagement, aber aus allen Blickwinkeln: welche Auswirkungen hat es für das Unternehmen, wenn wir einen Prozess ändern, eine Umstrukturierung durchführen, den Datenaustausch direkter umstellen, allen eine "agile" Haltung "aufzwingen"?

Der Interim Experte wird die Erfahrung machen, dass die Workshops etwas länger dauern, dass viel mehr Austausch und Überzeugungsarbeit erforderlich sind, um eine Veränderung herbeizuführen. Unter dem immensen Druck der "digitalen Transformation" sind die Ansatzwinkel viel enger geworden. Und hin und wieder kann eine Umsetzung kollidieren, wenn nicht alle Aspekte (insbesondere Kultur, Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung, Einstimmigkeit sowohl vertikal als auch horizontal) berücksichtigt werden.

Beispiele (keine erschöpfenden Herausforderungen):

  • Erhöhung des Informationsflusses im gesamten Unternehmen, Synchronisierung der Geschäftsprozesse und Verbesserung der Interaktion mit dem "shop floor to the parent company".
  • In der Lage sein, den Produktionsfluss nahezu in Echtzeit zu überwachen, um Verschwendung und unnötige Arbeit zu vermeiden.
  • Bleiben Sie der Wartung der Ausrüstung einen Schritt voraus und ermitteln Sie optimale Zeiten und Prozesse für den Austausch von Teilen, Verbrauchsmaterialien und Ausrüstung.
  • Implementieren Sie Wartungspläne, um Maschinenausfallzeiten zu verhindern und den Durchsatz zu erhöhen.

Die Erwartungen an einem Interimsmanager sind von einer viel größeren Dimension als vor 2010. Besonders in einem sehr vorsichtigen Land wie Frankreich ist der Schritt vom IST zu SOLL eine sehr große Herausforderung.

Interim Profis: Vielen Dank für Ihre aufschlussreichen Antworten!
Gibt es abschließend noch etwas, was Ihnen grundsätzlich zum Thema Interim Management in Deutschland vs. Interim Management in französischsprachigen Regionen einfällt?

Patrick Roose: Grundsätzlich gilt: Das Konzept des Freiberuflers ist in Frankreich schon nicht so einfach, das Konzept des Interimsmanagements ist noch schwieriger.

Aus diesem Grund sehe ich eine hohe Notwendigkeit, das in Deutschland vorhandene "Wissen, Blut, Kultur" in französische Unternehmen zu übertragen. Dies ist aktuell vor allem in den südlichen Regionen in Frankreich noch schwierig.

Wir alle wissen: Ein Manager auf Zeit hat unternehmerische Qualitäten, die er hervorragend in die Kultur eines Unternehmens einbringen und somit die nötigen Veränderungsprozesse vorantreiben kann. Da er anders mit Risiken umgeht, kann er eine neue Dynamik schaffen.

Weiterhin haben konservative und traditionelle Unternehmen große Schwierigkeiten mit Veränderungen. Der gemeinsame Zugang zu Informationen innerhalb eines Unternehmens war und ist weiterhin schwierig. Dies zeigte sich in der Vergangenheit z.B. an folgenden Themen:

  • Dem Arbeiten mit einer zentralen Datenbank (1990)
  • Dem Wechsel vom Hauptrechner zu einzelnen PCs (1995)
  • Dem Outsourcing von IT-Lösungen (2000)
  • Der Verwaltung gemeinsamer Dienste (2005)

Und aktuell an der digitalen Transformation.

 

Über den Interviewpartner

Patrick Roose ist Interim Manager mit dem Schwerpunkt Transformation (Digitalisierung & Umstrukturierung). Als Muttersprachler hat er bereits mehrere erfolgreiche Interim Aufträge in Belgien, Frankreich, der Schweiz, Niederlande und Spanien umgesetzt. Von nicht integrierten Lösungen bis hin zu vollständigen Rechenzentren mit Zentralen und hybriden Operationen, hat er bereits diverse Kunden begleitet. Datenübermittlung, IT Infrastruktur & Architektur, Prozesse, sowie cultural alignment zwischen Ländern bildeten dabei stets seine Hauptthemen. Bei seinen Interim-Projekten unterstützt Herr Roose CEOs auf strategischer Ebene